Die Energie des Widerstands umlenken

Ist dir diese Situation bekannt? Du befindest dich in einem Konflikt und siehst dich, deine Interesse, deine Wünsche bedroht. Als Reaktion investierst du viel Energie in den Widerstand, die Abwehr, die Abgrenzung und die Abwertung deines Gegenübers. Erstmal scheint es zu helfen, dich besser zu fühlen. Gleichzeitig fühlt sich die Lage immer verkrampfter und auswegslos aus.

Diese Abwehrhaltung will unseren verletzlichen Kern schützen und uns weiteren Schmerz ersparren. Gleichzeitig schafft sie Mauern, die einen Hindernis in der Kommunikation und in der Beziehung darstellen. Wenn wir wahnehmen, was in uns geschützt und unterstützt werden will, können wir beweglich bleiben statt uns einzumauern.

Mauerbau als schutzmechanismus

Was meine ich denn, wenn ich von Mauern rede? Die Strategie des "Mauerbaus" ist in konflikthaften Situationen weitverbreitet - auf der individual-psychologischen wie auch politisch-psychologischen Ebene - und bedient sich einiger Werkzeuge, für die ich hier vereinfachte Beispiele gebe:

 

  • Projektionen auf andere: "Eindeutig und klar, das Problem ist ER_SIE. Wenn er_sie nicht da wäre, wäre alles viel einfacher und besser. Warum ist er nur so blöd?" etc.
  • Abwehr, Abgrenzung und Widerstand: "Was immer er_sie von mir will mache ich auf keinen Fall! Hier ist eine Grenze! Das ist ja total absurd, was sie sagt!"
  • Abwertung und Fokus auf feste negative Bilder: "Er_sie ist sowieso immer am meckern, sie ist sowieso immer dagegen, er ist echt nicht klar..."

 

Gemeinsam haben diese Werkzeuge, dass unsere Aufmerksamkeit nach aussen gerichtet ist, meist auf die auslösende Person. Die Reaktionen kommen aus einen Zustand, in dem wir uns nicht OK fühlen, als Person nicht wertvoll - doch wir wollen das nicht spüren und drehen den Filter um: die andere Person ist nicht OK. Unser Ton, unsere Körpersprache wird härter. Vielleicht spüren wir im Körper Verspannungen, Verkrampfungen, zum Beispiel im Nacken, Rücken, im Bauch oder im Kiefer.

 

Diese Technik, unsere Aufmerksamkeit nach aussen zu richten, wenn es innen weh tut, will uns vor Schmerz und Verletzlichkeit schützen. Den Mechanismus lernen wir oft in der Kinderheit schon: Kleinkindern, die sich am Tisch stossen und schmerzen hören "oh der blöde, böser Tisch!". Freund_innen wollen trösten, nachdem eine_r erfahren hat, dass er_sie nicht zu einem Geburtstag eingeladen wurde: "Weiss du was, der ist sowieso immer doof." Und so tragen wir diesen erlernten Umgang als Erwachsene weiter: Wer unseren Vorschlag auf Arbeit kritisiert, "ist" erstmal blöd.

Die kosten von mauern

Doch die Projektion nach Aussen, die Schaffung von Widerstand und Mauern, hat seinen Preis. Wir verbrauchen viel Energie, körperlich und mental. Auf der Beziehungsebene erschweren wir die Möglichkeit von Begegnungen, wo wir uns offen gegenüberstehen, uns gegenseitig zuhören und verstehen wollen. Die Situation wird starr, verhärtet, verkrampft, physisch und sozial. Dies kann zu einer Eskalation führen.

 

Hinter Mauern lässt sich weniger von außen wahrnehmen und wir geniessen wenig Bewegungsspielraum.

Stärken und nähren statt einsperren

Ja, was können wir denn sonst noch mit diesem unangenehmen Gefühl tun? Ich finde es wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was denn gerade geschützt werden will. Dann können andere Wege ausprobiert werden, diesen Teil von uns zu nähren und zu unterstützen.

Das Bild, was wir von der auslösenden Person machen, liefert uns wertvolle Hinweise dafür, was wir brauchen. "Die findet mich sowieso immer doof". Und du, was denkst du über dich selbst? Was macht es mit dir, wenn du das Bild hast, andere finden dich "doof"? Was spürst du dann?

 

Hinter diese Abwehr steckt ein sehr verletzliches Teil von uns, was in der Kindheit nicht ausreichend genärt wurde. Vielleicht will es erstmal weinen, und das kann erstmal beunruhigend sein. Unsere Tränen und unsere Verletzlichkeit wurden meist nicht mit offenen Armen begegnet. Wir denken vielleicht, wir sind irgendwie falsch, nicht in Ordnung, wenn wir so reagieren.

 

Wichtig ist dabei sich bewusst zu machen oder zu erinnern: Ich darf mich so fühlen. Meine Gefühle sind richtig. Sie fühlen sich gerade schlecht an, trotzdem sind sie willkommen.

 

Wenn wir immer wieder in Kontakt mit diesem verletztlichen Teil kommen und ihm wohlwollend und mit Wärme begegnen, merken wir mit der Zeit, dass unsere Abwehrreaktionen weniger stark werden. Wir gewinnen an Beweglichkeit. Mehr Energie wird frei, um neue Wege im Umgang mit Konflikten auszuprobieren, statt uns einzusperren.

 

Wie du diesen Teil nähren kannst, weiss nur du. Hier sind ein paar Ansätze, die dir vielleicht auf deinen Weg bringen:

 

  • stärkende positive Glaubenssätze:
    Ich darf da sein,
    ich darf so sein wie ich bin,
    ich bin gut so wie ich bin,
    Ich darf eine andere Meinung haben,
    ich bin ok.
  • Geste, die uns gut tun: uns selbst Liebe und Fürsorge schenken. Tee, Wärmflasche, gutes selbst-gekochtes Essen, in den Wald spazierengehen, Malen, mit Farben gestalten, Luftballons aufhängen...
  • Nach Unterstützung fragen: Hand- oder Schultermassage, die Sätzen wiederholen, eine annehmende Begleitung finden, bei der ich meine Trauer, meine Angst, meine Wut sicher entladen kann...